Andachten
Radioandachten NDR 1
Himmel und Erde 2012 - Der vergängliche Wert der Dinge
„Diamonds are a girl’s best friend“, hauchte Marilyn Monroe. Der beste Freund einer Frau ist ein Diamant. Und um den zu bekommen, heiratet man am besten einen Millionär. Liebe muss hinten anstehen. Was in der amerikanischen Filmkomödie „Blondinen bevorzugt“ so leicht daherkommt, enthält ein bitteres Körnchen Wahrheit. Der größte Diamantenhersteller der Welt drückt das in seiner Werbung so aus: Ein Diamant ist unvergänglich. Und man ahnt: Liebe ist es nicht. Wer also etwas Sicheres für sein Leben sucht – so die verbreitete Logik – setzt am besten auf Materielles.
In der gegenwärtigen Krise verstärkt sich das. Wer weiß schon, was aus dem Euro wird! Aber ein Haus? Gold? Edelsteine? Auch Diamanten sind jedermanns bester Freund!
Nun las ich in der Zeitung, Forscher hätten einen Diamant-Planeten entdeckt. Mindestens zu einem Drittel bestehe er aus reinem Diamant. Ist das gut oder ist das schlecht? Könnte man da nicht hinfliegen, auch wenn’s ein bisschen länger dauert, eine ordentliche Portion Diamant abbauen und damit all die Schulden bezahlen, die wir haben und die den Euro so instabil machen?
Leider nein. Der Planet liegt in einem anderen Sonnensystem, ist also viel zu weit weg. Wäre er näher dran, wär’s noch schlimmer. Denn nur das, was knapp ist, hat auch einen hohen Preis. Gäbe es sie in rauen Mengen, wären Diamanten wohl kaum teurer als Glas.
Übrigens galt Glas, simples, einfaches Glas im späten Mittelalter als extrem wertvolle Tauschware. Anders ein paar Jahrhunderte später. Als man afrikanische Sklaven nach Amerika brachte, lachten hochnäsige Europäer darüber, dass die Sklavenhändler in Afrika böhmische Glasperlen als Zahlungsmittel akzeptierten. Sie kosteten nicht viel. In Afrika aber waren sie selten und kostbar. So ist es mit den materiellen Dingen: Heute gilt dies als wertvoll, morgen das.
Die erste „Eurokrise“ fand übrigens vor 500 Jahren statt. Die spanischen Eroberer Südamerikas brachten große Mengen Gold nach Europa und dachten, nun seien sie reich. Das Gegenteil geschah. Der Wert des Goldes, das ja nun nicht mehr selten war, brach so stark ein, dass eine Wirtschaftskrise daraus wurde. Vielleicht ist es ja doch sicherer, statt auf Materielles auf die Liebe unter den Menschen zu setzen.
Thomas Gunkel
Himmel und Erde 2012 - Das Geld und das Glück
Das Glück ist im Himalaya zuhause. Genauer: In Buthan, einem kleinen Land im höchsten Gebirge der Welt. In der Verfassung Buthans ist das Bruttonationalglück als Staatsziel festgelegt. Bruttonationalglück – der Begriff ersetzt den bei uns üblichen Ausdruck Bruttosozialprodukt. Der beschreibt den wirtschaftlichen Erfolg. Je höher das Bruttosozialprodukt, desto besser geht es den Menschen – so die verbreitete Meinung.
Nun: In Buthan sieht man das anders. Wirtschaftswachstum hat ja auch negative Folgen: Die Umwelt wird geschädigt. Neben dem Reichtum der einen steht oft die Armut der anderen. Und häufig geht das Streben nach Reichtum mit Stress und Sinnleere einher.
Also: Geld und Glück sind zweierlei. Eigentlich weiß man das nicht nur in Buthan, sondern auch bei uns. Eigentlich wissen wir auch, wie zweifelhaft es ist, Wirtschaftswachstum in jedem Fall als Erfolg zu verbuchen. Wenn etwa mehr Menschen krank werden, wächst der Gesundheitssektor und damit die Wirtschaft. Auch Umweltschäden oder Rüstungsgüter können das Bruttosozialprodukt steigern.
Sollen wir also umdenken und lieber das Glück steigern? Was aber macht denn glücklich? Schon die alten Griechen stritten darüber. Die einen sagten, ein glücklicher Mensch sei der, der auf alles verzichtet. So, wie Diogenes, der in einer Tonne lebte. Hast du nichts, so vergeht die Angst, etwas zu verlieren! Allerdings: Dann darf ich auch keine Beziehung zu anderen Menschen haben, die mir wichtig sind: Eine Frau, Kinder. Denn die könnte ich ja auch verlieren.
Deshalb sagten die anderen: Nein, glücklich ist der Mensch, der das Leben in vollen Zügen genießt, der Chancen nutzt, die sich ihm bieten. Nur darf ich andere Menschen dabei nicht schädigen. Aber das ist leichter gesagt als getan. Denn das Leben für sich ausschöpfen zu wollen, führt doch schnell in Egoismus und Gleichgültigkeit.
Die Bibel schlägt deshalb einen anderen Weg vor: Achte nicht auf dein Glück, sondern auf das der anderen. Jesus nennt die Menschen glücklich, die das Leid der anderen mittragen. Und er denkt dabei an eine Welt, in der alle Lasten von Menschen durch andere mitgetragen werden. Trachte zuerst nach dem Reich Gottes, sagt er. Wenn Du danach strebst, so wird dir alles andere, was du brauchst, zufallen. Auch das Glück.
Den Nächsten lieben, aufeinander achten – das macht glücklich. Und es behütet uns besser als Geld.
Thomas Gunkel
Himmel und Erde 2012 - Die Gier und ihre Folgen
„Ich möchte, dass die beiden Jungs ein Sparkonto bekommen.“ Tante Hertel, Großtante meiner beiden Kinder, hatte ihr Leben lang in einer Bank gearbeitet. Ein Sparbuch war also ein „Muss“. „Mir geht’s ja gut“, sagte sie. „Da macht es mir nichts, wenn ich den beiden monatlich ein bisschen `was einzahle. Und die Jungs freuen sich, wenn sie größer sind.“
Jahre später starb Tante Hertel. Ich ging zur Bank, um mich beraten zu lassen, wie das angesparte Geld nun am besten anzulegen wäre. „Kombiinvest“, sagte die junge Frau in der Bank, „einen Teil sparen, einen Teil in Ökofonds. Die haben gute Entwicklungsaussichten. 20 Prozent in den letzten drei Jahren, pro Jahr.“ Das hätte mich warnen sollen, tat es aber nicht. Dann kam die Finanzkrise. Das Sparbuch verdiente seine nicht besonders üppigen Zinsen. Aber die Ökofonds waren plötzlich nur noch die Hälfte wert. Seither misstrauen meine Söhne Banken. Und in Gelddingen auch ihrem Vater. Da half es auch nichts, dass ich versprochen habe, den Verlust zu ersetzen. Am liebsten hätte der Kleinere von beiden sein Konfirmationsgeld unter der Matratze aufgehoben. „Wieso? Ich finde, da ist es vergleichsweise sicher“, sagte er.
Ich kann ihm das Misstrauen nicht verdenken. Wer sich die Finger verbrannt hat, scheut eben das Feuer. Dabei weiß ich wohl: Wenn alle ihr Geld in den Sparstrumpf steckten, gäbe das eine Katastrophe. „Taler, Taler, du musst wandern, von einer Hand zur anderen“. Mit diesem Kinderlied hat mir damals der Lehrer in der Grundschule beigebracht, wie wichtig es ist, dass das Geld fließt. Es ist schon merkwürdig: Behalten alle ihr Geld für sich, kommt die Wirtschaft zum Erliegen. Geben sie ihr Geld aus, besteht Aussicht, dass es zu ihnen zurückkehrt. Aber das setzt natürlich das Vertrauen voraus, dass es nicht zu neuen Krisen kommt.
Was ist da eigentlich falsch gelaufen? Ich meine: Falsch war die Gier. Falsch war es, dass eine große deutsche Bank 25 Prozent Rendite pro Jahr haben wollte. Falsch war es zu glauben, das Geld werde sich über Nacht vermehren. Auch ich war ja ganz offenbar gierig.
Hat sich etwas geändert? Ich bezweifle das. Aber was mich betrifft: Wenn mir wieder irgendwelche Sirenen etwas von enormen Wertzuwächsen ins Ohr säuseln, werde ich weghören.
Thomas Gunkel
Himmel und Erde 2012 - Achten, aber nicht verehren – vom Nutzen des Geldes
Bischof Nikolaus lebte im 4. Jahrhundert nach Christus in Myra, in der heutigen Türkei. Es gab ihn also wirklich, den Nikolaus. Die Geschichten, die man sich über ihn erzählt, sind allerdings Legenden: Geschichten also, deren Wahrheit nicht unbedingt darin besteht, dass sie sich genau so zugetragen haben müssen.
Eine dieser Legenden geht so: In der Nachbarschaft von Bischof Nikolaus wohnte ein armer Mann. Der hatte drei Töchter. Sie hätten gerne geheiratet. Aber ihr Vater hatte kein Geld für die Mitgift. Also überlegte er in seiner Not, eine der Töchter als Sklavin zu verkaufen, damit wenigstens die anderen beiden heiraten und glücklich leben konnten. Als Nikolaus davon hörte, ging er nachts zum Haus des armen Mannes und legte unbemerkt drei Goldstücke in die Schuhe der ältesten Tochter, die an der Tür standen. In der folgenden Nacht legte er drei Goldstücke in die Strümpfe der zweiten Tochter, die noch auf der Leine hingen. Da sagte der Vater: „Bestimmt soll auch meine dritte Tochter beschenkt werden. Ich will wach bleiben und sehen, wer der Wohltäter ist.“ Nikolaus aber wollte unerkannt bleiben, und so blieb ihm keine andere Wahl als heimlich durch den Kamin zu klettern und so der dritten Tochter drei Goldstücke auf deren Teller zu legen. So geschah es. Die drei Töchter aber waren glücklich, weil sie nun heiraten konnten und es ihnen erspart blieb, dass eine von ihnen zur Sklavin werden musste.
Für mich ist diese Geschichte wahr. Gut, man kann sich schon darüber wundern, warum die Nachwelt von all dem erfahren hat, da doch Bischof Nikolaus so darauf bedacht war, unerkannt zu bleiben. Aber das meine ich nicht. Wahr an der Geschichte ist für mich, dass sie realistisch davon erzählt, was Armut anrichten kann. Armut kann dazu führen, dass Menschen vom Leben ausgeschlossen bleiben. In Deutschland gelten 2,5 Millionen Kinder und Jugendliche als arm. Und das heißt für sie oft, dass sie nicht ins Kino gehen können wie die anderen oder dass sie Geburtstagseinladungen ausschlagen müssen, weil kein Geld für ein Geschenk da ist.
Wahr an der Geschichte ist für mich auch, dass sie das Geld nicht überschätzt. Die Töchter wollen nicht Gold besitzen, sondern heiraten. Das Gold ist nur ein Mittel zum Zweck.
Beides lehrt mich der Nikolaus: Dass Armut unter uns nicht sein sollte. Und dass der wahre Reichtum darin besteht, am Leben teilhaben zu können.
Thomas Gunkel
Zwischentöne 2023 - Letzte Generation?
Letzte Generation?
Weltuntergangsphantasien. Schon immer faszinieren sie Menschen. So ist es auch im Buch „Der Name der Rose“. Es beginnt mit einem Mord im Kloster. Anno 1327. In Umberto Ecos Geschichte soll Bruder William den Fall aufklären. Er ist für seinen scharfen Verstand bekannt. Und kommt damit anderen Mönchen in die Quere. Die sehen übernatürliche Kräfte am Werk. Was die Aufklärung eher behindert. Einer von den Mönchen zitiert aus der Apokalypse des Johannes, dem letzten Buch der Bibel. Schreckliche Dinge würden den Weltuntergang einleiten: Donner und Stimmen und Blitze und Erdbeben. Und dann Hagel und Feuer, mit Blut vermengt. „Und siehe“, sagt ein Mönch, „hier ist Blut.“
Weltuntergangsphantasien. Auch heute. Junge Leute bezeichnen sich als „letzte Generation“. Letzte Generation? Dann kommt wohl bald der Untergang.
Die biblische Apokalypse kündigt keineswegs den Weltuntergang an. Sie ist ein Trostschreiben. Das sagt: Was nicht gut ist in der Welt, wird nicht für immer bleiben. Es vergeht und etwas Besseres kommt.
Daran will ich glauben, auch heute. Der Krieg bleibt nicht. Tödliche Epidemien bleiben nicht. Und die Klimaerwärmung ist auch kein unabwendbares Schicksal. Denn Zukunft wächst aus Hoffnung, nicht aus düsteren Ängsten.
Thomas Gunkel
Zwischentöne 2023 - Was wird sein?
Que sera, sera. What ever will be, will be. Wer kennt es nicht – das Lied, das Doris Day singt. Der Liedtext ist ein Gespräch zwischen Mutter und Tochter. „Was werde ich einmal sein? Werde ich hübsch sein? Oder reich?“ Und ihre Mutter antwortet: „Wie auch immer es sein wird; so wird es eben sein. The future is not ours to see – wir können nicht in die Zukunft schauen.“
Gut so. Stellen Sie sich vor, wir wüssten, was kommt. Das Schöne wäre längst bekannt und dann nicht halb so beglückend. Das Traurige, Beängstigende, Verletzende würde uns in Bann schlagen. Es würde uns schon treffen, wenn noch gar kein Grund dazu besteht. Gut, dass der Blick in die Kristallkugel nicht funktioniert. Er würde unser Leben ärmer machen.
Die Bibel erzählt von Moses, der von Gott einen Auftrag bekommt: Führe mein Volk in die Freiheit. Moses hat Angst, versucht auszuweichen. Wer bist du denn? Wie ist dein Name? Da offenbart Gott seinen Namen. Mein Name ist „Ich bin bei dir.“ Für mich heißt das: Es kommt gar nicht so sehr darauf an, was sein wird. Sondern darauf, dass jemand das Leben mit mir teilt: das Gute, das Schöne, das Leichte. Und erst recht das, was schwer ist.
Thomas Gunkel
Zwischentöne 2023 - Lass Gott mal machen!
Kennen Sie den Engel Aloisius? Während seines Erdenlebens hieß er Alois Hingerl und war Dienstmann am Münchner Hauptbahnhof. Dienstmann? Die Geschichte kann nicht ganz neu sein. Ludwig Thoma hat sie geschrieben und 1962 entstand ein wunderbarer kleiner Zeichentrickfilm dazu. Aloisius, eben erst zum Engel geworden, soll auf einer Wolke sitzen, frohlocken und Hosianna singen. Das geht ihm gegen das Naturell. „Luja, soag i“, ruft Aloisius zornig. So wird entschieden: Er muss zurück auf die Erde, um der bayrischen Staatsregierung göttliche Eingebungen zu überbringen. Die kommen dort aber nicht an. Aloisius geht nämlich lieber ins Hofbräuhaus.
In dieser humorvollen Geschichte steckt eine ernste Frage: Was wird sein, wenn dieses Leben zu Ende geht? Wiedergeboren werden als ein anderes Lebewesen? Oder: Die wiedersehen, die wir geliebt haben und die der Tod von uns trennte? Wie die Engel leben, mit einem Leib aus Licht?
Ich glaube: Gott ist anders. Dann muss auch die Welt, die uns erwartet, anders sein. Nichts, was zu unserer Welt gehört, ist ihr gleich. Denn Gott ist nicht Teil seiner Schöpfung, sondern ihr Gegenüber. Und so versagt wohl jede menschliche Vorstellung. Aber, dass Gott es gut mit uns meint, das glaube ich. Deshalb glaube ich auch, dass gut sein wird, was kommt.
Thomas Gunkel
Zwischentöne 2023 - Generationenvertrag
Ein Mann pflanzt einen Johannisbrotbaum. Da kommt sein Nachbar und fragt: »Wann wird das Bäumchen Früchte tragen?« Der Mann erwidert: »In etwa 70 Jahren.« Darauf der Nachbar: »Du bist ja verrückt! Pflanze doch lieber einen Baum, der dir zu Lebzeiten schon etwas bringt!« Der Mann sieht sich sein Bäumchen an und meint: »Als ich ein Kind war, aß ich von Johannisbrotbäumen, die meine Großeltern und Urgroßeltern gepflanzt haben. Nun will ich einen Baum pflanzen für die, die nach mir kommen.«
Der nächsten Generation die Hand reichen! Das ist nicht erst ein Thema seit heute, seit wir fürchten müssen, die Erde könnte eines Tages zu heiß und unbewohnbar werden. Bereits eines der 10 Gebote handelt davon. „Du sollst Vater und Mutter ehren, auf dass es dir wohlergehe und du lange lebest auf Erden.“ Kümmere dich um deine alt gewordenen Eltern, wenn ihre Kräfte nachlassen. Dann werden es deine Kinder ebenso tun, wenn du selbst alt bist.
Generationenverträge funktionieren in beide Richtungen. Im 4. Gebot tun die Jüngeren etwas für die Älteren, in der Geschichte vom Johannisbrotbaum die Älteren für die Jüngeren. Vielleicht sollte auch ich einen Johannisbrotbaum pflanzen. Anders als die Fichten bei mir im Harz, halten sie hohe Temperaturen aus und brauchen nur wenig Wasser.
Thomas Gunkel
Zwischentöne 2023 - Das Beste kommt zum Schluss
Der krumme Kirschbaum, in dessen Astgabel ich früher geklettert bin. Der Bach hinter dem Bolzplatz. Dort haben wir mit der Hand Kaulquappen gefangen.
Oder der selbstgemachte Holunderbeersaft, den Opa uns Kindern in Schnapsgläsern ausgeschenkt hat. In all dem war Heimat: Hier bin ich zuhause.
Heute ist vieles anders und das Gefühl von damals kommt nur für kurze Momente zurück. Zum Beispiel, wenn etwas riecht wie damals. Heimat bleibt nicht. So, wie Kindheit nicht bleibt. Sie hinterlässt aber in uns eine Sehnsucht, dorthin zurückkehren zu können. Und dann für immer zu bleiben.
Der Philosoph Ernst Bloch sagt: Heimat ist etwas, „das allen in die Kindheit scheint und worin noch niemand war.“ So wandert unser Blick wohl zurück. Aber was er sucht, kann nur die Zukunft in sich bergen.
In der Bibel heißt die erste Heimat der Kindertage Paradies. Aber nirgendwo wird uns versprochen, dass wir dorthin zurückkehren können. Die bleibende Heimat heißt in der Bibel Reich Gottes. Und diese Heimat steht noch aus. Schau nach vorn! Wenn nirgendwo mehr Tränen fließen, Menschen nicht mehr
auseinandergerissen werden, niemand mehr nachts wacht liegt aus Sorge, dann wird um uns Heimat sein – so, wie es der Psalm sagt: „Gutes und Barmherzigkeit werden mir folgen mein Leben lang, und ich werde bleiben im Hause des Herrn immerdar.“
Thomas Gunkel
Zwischentöne 2024 - Mein Blick auf ein Jahr Krieg in Nahost
Heute vor einem Jahr hat die Hamas Israel überfallen. 1.200 Menschen tot, 5.000 verletzt, 240 als Geiseln verschleppt. Es sind auch Kibbuzim angegriffen worden. Diese jüdischen Gemeinschaften haben sich vielfach dafür eingesetzt, sich mit den Palästinensern zu verständigen. Genau das will die Hamas verhindern. Denn der Konflikt speist ihre Macht. Die Hamas wusste natürlich, wie gerade diese israelische Regierung reagieren würde. Und wollte es! Sie will Bilder des Schreckens auslösen. Mit dem Ziel, Israel international zu isolieren. Ich finde das bitter.
Inzwischen geht die böse Saat auf. Etwa 40.000 Tote im Gazastreifen. Und nun herrscht auch Krieg im Süden Libanons. Immer mehr Hass statt Versöhnung! Auch uns erreicht der Konflikt. Jüdische Menschen bei uns haben Angst vor Übergriffen. Ich habe eine Kundgebung für Palästina erlebt, wo einseitig den Juden die Schuld zugewiesen wurde.
Ich fühle mich den Menschen in Israel verpflichtet. Weil die Gewalt gegen ihre Vorfahren von meinem Land ausging. Aber es ist doch eine Verpflichtung für Menschlichkeit. Wir brauchen die Stimmen der Versöhnung. Dass Rache am Ende alles zerstört, wusste man schon in biblischen Zeiten. Dafür steht der Satz: Auge um Auge, Zahn um Zahn. Nimm nicht zwei Leben für eines! Und Jesus geht noch einen Schritt weiter: Prüfe, wie du aus der Gewaltspirale aussteigen kannst. Denn nur so hat der Frieden eine Chance.
Thomas Gunkel
Zwischentöne 2024 - „Mehr Demokratie wagen“
Heute vor 32 Jahren starb der ehemalige Bundeskanzler Willy Brandt. In seine Regierungszeit fiel ein tiefgreifender Wandel der politischen Kultur. „Mehr Demokratie wagen!“, so nannte Brandt das. Wahlalter auf 18 Jahre senken und vor allem: Mitreden, sich einmischen, Verantwortung übernehmen. In Betrieben, Schulen und an Universitäten. So entstand eine politische Kultur, in der nicht allein die Regierung, sondern die Zivilgesellschaft Impulse setzte. Plötzlich spielten zum Beispiel Bürgerinitiativen eine wichtige Rolle.
Heute – so scheint es – ist die Demokratie in der Krise. Immer mehr Menschen wollen sie nicht mehr, wollen lieber die starke Hand, die alles regiert. Das ist paradox, denn wie kann ein Volk wollen, dass nicht das Volk regiert? Und doch gibt es Gründe: In der Demokratie geht alles langsam; man wird sich nicht schnell einig. Manchmal auch gar nicht. Der Glaube schwindet, dass Parteien Probleme lösen können. Zum Beispiel, dass der Klimawandel aufgehalten werden kann.
Also: Lieber weniger Demokratie? Nein. Sondern uns mehr zutrauen. In Psalm 8 steht: Was ist der Mensch, dass du, Gott, seiner gedenkst? Du hast ihn zum Herrn gemacht über deiner Hände Werk. Das meint: Nicht zuschauen, klagen, wütend sein, sondern selbst ein Stück Verantwortung übernehmen an meinem Ort. Eben: mehr Demokratie wagen.
Thomas Gunkel
Zwischentöne 2024 - Friedliche Revolution
Der heutige Tag gilt als Beginn der friedlichen Revolution in der DDR. Am 9. Oktober 1989 sind in Leipzig 70.000 Menschen auf die Straße gegangen, um für Freiheit zu demonstrieren. Sie haben nicht gewusst, ob die Staatsmacht auf sie schießen lassen würde.
Unter den Demonstrierenden ist eine Gruppe gewesen, welche die riesige Menschenmenge mit einer Videokamera gefilmt hat. Natürlich wären sie hart bestraft worden, hätte man sie erwischt. Die Sache ist gut gegangen und so haben sie mit Hilfe eines Spiegel-Redakteurs die Aufnahmen in den Westen schmuggeln können. Der Moderator der Tagesthemen, Hanns-Joachim Friedrichs, hat sie am darauffolgenden Abend gezeigt. Nun ist endgültig klar gewesen: Es ist eine Umwälzung im Gang. Die Flucht von DDR-Bürgern in die Botschaften der Bundesrepublik in Prag, Warschau und Budapest war nur der Anfang.
Wege in die Freiheit sind oft lang und steinig. Schon die Geschichte vom Auszug der Israeliten aus der Knechtschaft in Ägypten erzählt davon. Sie erzählt auch, dass manche lieber umkehren wollten auf dem langen Weg. Sie riefen: „Früher war alles besser!“ Weil sie die Hoffnung auf eine gute Zukunft verloren hatten. Ich glaube: So erleben es gegenwärtig viele in unserem Land. Es fehlt an Hoffnung und Zuversicht. Deshalb wollen manche, dass jemand kommt, der uns zeigt, wo es entlanggeht.
Ich bin immer noch für die Freiheit. Und die Geschichte von damals macht mir Mut dazu.
Thomas Gunkel
Zwischentöne 2024 - Die „helfensbedürftige“ Generation
„Wenn ich einmal alt bin, dann ziehe ich in ein Altersheim. Ich möchte nicht, dass meine Kinder mich pflegen müssen.“ Das hat mal eine Dame von 80 Jahren zu mir gesagt. Ich musste ein bisschen lächeln: Wenn man mit 80 noch nicht alt ist, wann ist man es dann? Und doch haben mich die Worte der Frau beeindruckt. Denn die meisten älteren Menschen sagten sich damals: Ich bleibe in meiner Wohnung, in meinem Haus, solange es geht. Und dann kümmern sich die Kinder. Altenheime galten als Abschiebelösung, auch wenn man anfing, sie in Seniorenheime umzutaufen.
Und heute? In der Zeitung lese ich, dass immer mehr ältere Menschen sich Senioren-WGs wünschen oder eine Mehr-Generationen-Hausgemeinschaft. Die Babyboomer gehen jetzt in den Ruhestand. Oft haben sie viel Wohnfläche um sich herum. Und die jungen Menschen zahlen die Hälfte ihrer Einkünfte für überteuerte, kleine Wohnungen. Sollte sich da nicht etwas machen lassen? Vielleicht muss man Häuser und Wohnungen umbauen, damit Privatsphäre und gemeinschaftliches Leben vereinbar werden. Aber dann geht es. In der Gemeinschaft geht vieles besser.
Der Psychiater Klaus Dörner hat einmal gesagt: Menschen sind nicht nur hilfsbedürftig; sie sind auch helfensbedürftig. Miteinander kooperieren, miteinander verabreden, wie es gemeinsam gelingen kann: Das ist das, was unsere Spezies kann wie keine andere.
Thomas Gunkel
Zwischentöne 2024 - Würstelessen
Kann denn Wurst essen Sünde sein? Im 16. Jahrhundert, am Beginn der Reformation, war es das. Zumindest in den Fastenwochen. Und von denen gab es damals gleich mehrere im Jahr. In diesen Wochen ist der Verzehr von Fleisch verboten gewesen, um das Andenken an Jesu leidvolles Sterben rücksichtsvoll zu begehen. Huldrych Zwingli hat damit gebrochen und so die Reformation in der Schweiz ausgelöst. Heute vor genau 493 ist er gestorben. Während einer dieser Fastenzeiten hat Zwingli mit den Honoratioren der Stadt Zürich an einem Würstelessen teilgenommen. Eine Provokation der kirchlichen Obrigkeit! Zwingli hat zwar keinen Bissen gegessen, nur die anderen. Und doch sind es nicht zuletzt seine Predigten gewesen, welche die Züricher zu diesem Fastenbrechen veranlasst haben. Ähnlich wie Martin Luther sagt Zwingli: Nur was in der Bibel steht, soll auch in der Kirche und unter den Christenmenschen gelten. Fastenregeln hätten die Bischöfe erfunden.
Nun, das stimmt nicht wirklich. Jesus hat sehr wohl gefastet, in der Wüste, 40 Tage lang. Allerdings nicht, um Gott zu gefallen, ihn gnädig zu stimmen, sondern um dem Teufel zu widerstehen, den der Hunger unterstützt.
Heute hat das Fasten wieder Konjunktur, unter Katholischen, Evangelischen und Anderen. Wenn es denn freiwillig geschieht, hätte wohl auch der Schweizer Reformator Zwingli nichts dagegen. Wenn es der Umwelt dient, hätte er es vielleicht sogar befürwortet.
Thomas Gunkel
Worte zum Sonntag in der Goslarschen Zeitung
Wundmale
In der vergangenen Woche war Aschermittwoch. Die Passions- oder Fastenzeit hat begonnen. In den Gottesdiensten der nächsten Wochen bis Ostern wird es um den Leidensweg Jesu gehen. Leiden ist für viele Menschen ein Thema, das sie lieber vermeiden. Muss das sein, einen gemarterten Menschen so in das Licht der Öffentlichkeit zu ziehen? Nicht wenige stören sich an dem Bild des Schmerzensmanns mit seinen Wunden an Händen, Füßen und in der Seite und der Dornenkrone auf dem Kopf. Selbst, wenn schließlich Ostern sein wird, das Fest, das den Sieg des Lebens feiert, den Sieg Gottes über den Tod, wird die Erinnerung an das Leiden Christi wachgehalten werden. In der Osternacht, wenn die neue Osterkerze in die Kirche getragen wird, wird es sichtbar sein: Denn die Osterkerze weist sogenannte Wundmale auf, die an die Wunden Christi erinnern.
Warum muss das Leiden so betont werden? Weil es ehrlicher ist als diese Mentalität, die das Leidvolle nicht aushält. Wir neigen dazu, die guten Erfahrungen in unserem Leben aufbewahren zu wollen. Deshalb machen wir von allem, was schön ist, schnell ein Erinnerungsfoto. Neuerdings als Selfie, um zu sagen: Ich und das Schöne sind eins. Was hingegen leid- und schmerzvoll ist, muss bewältigt oder aufgearbeitet werden. Wenn aber neben guten Erfahrungen auch schlechte unsere Identität bestimmen, dann glauben wir, etwas falsch gemacht zu haben. Denn dann haben wir es nicht geschafft, das Leidvolle zu überwinden. Aber diese Mentalität ist verlogen. Sie huldigt einer Welt des schönen Scheins. Es spricht nichts dagegen, wenn Menschen ganz sein wollen, heile und balanciert. Aber wo das um den Preis geschieht, verstecken zu müssen, dass sie es nicht sind, wird nichts besser davon. Wer zum Beispiel in den nächsten Wochen fastet, um wieder jung und schön zu werden, dürfte auf einem Irrweg sein. Besser wäre es, die Dellen und Beulen, die uns das Leben verpasst hat, mit Würde zu tragen. Denn auch Gott versteckt seine Wunden nicht.
Thomas Gunkel
Leid wirkt nach
„Ich, der Herr, dein Gott, bin ein eifernder Gott, der die Missetat der Väter heimsucht bis ins dritte und vierte Glied an den Kindern derer, die mich hassen.“ Der Satz steht in der Bibel, ausgerechnet dort, wo von den 10 Geboten die Rede ist, die Moses von Gott empfängt. Schon als Kind drängte sich mir die Frage auf: Ist Gott wirklich so? Ist er ein strafender Gott? Und schlimmer noch: Bestraft er wirklich Enkel- und Urenkelkinder für etwas, das deren Vorfahren getan haben? Das mochte ich nicht glauben und heute glaube ich es weniger denn je. Ein kleines Stück Religionsgeschichte hat mir da weitergeholfen. Ursprünglich glaubte man im alten Israel, Gott teile jedem Menschen sein Schicksal nach dessen Taten zu. Dann begriff man: So ist es nicht! Auch „gute“ Menschen erleiden Schicksalsschläge. Im biblischen Buch Hiob kann man nachlesen, dass „Gottes Ratschluss unergründlich“ sei. Und im Licht der Botschaft Jesu kann man sagen: Gott leidet mit. Aber er schickt kein Leid. Auch nicht als Strafe.
Dennoch ist an diesem erschreckenden Satz etwas dran. Denn traumatische Erfahrungen wie Kriegserlebnisse, eine zerrüttete Ehe oder der Verlust eines Kindes spielen oft auf eine untergründige Weise in den nachfolgenden Generationen noch eine Rolle. Unbewusst erben Kinder und manchmal auch Kindeskinder etwas von einem erlittenen Unrecht. Verletzlichkeit, eine scheinbar unerklärliche Wut, Rechthaberei – das können generationenübergreifende Spätfolgen sein.
In diesen Tagen geht es um das ehemals geteilte Deutschland. Am vergangenen Dienstag haben wir der Wiedervereinigung im Jahr 1990 gedacht, am kommenden Montag erinnern wir uns der Montagsdemonstration in Leipzig, die die friedliche Revolution mit auslöste. Und der heutige Samstag ist der 74. Jahrestag der Gründung der DDR, die 1949 die Teilung des Landes besiegelte. Das Leid, das damit einherging, ist nicht einfach verschwunden. Das gilt leider auch für manche leidvolle Erfahrung, die Menschen in der ehemaligen DDR nach der Wiedervereinigung machen mussten. Denn viele verloren ihren Arbeitsplatz. Brüche in den Biografien waren eher die Regel als die Ausnahme. Inzwischen ist mehr als eine Generation nachgewachsen, aber die alte Unterscheidung in Ost und West wirkt nach. Wunden aufzureißen ist leicht, Heilungen sind schwieriger. Und sie gelingen meist nur dann, wenn man nicht verschweigt, was war.
Thomas Gunkel
Ostermorgen - Was Gott schon immer wollte
Ostermorgen. Einige Frauen sind auf dem Weg zum Grab Jesu. Sie wollen den Leichnam salben. Es ist eine Geste der Liebe und Ausdruck ihrer Trauer. Als sie am Grab angekommen sind, ist es leer. Entsetzen erfasst sie. Sie denken: Nun haben sie uns auch noch seine sterblichen Überreste genommen! Aber eine Gestalt, weiß wie ein Engel, hat eine andere Deutung: Er lebt, er ist auferstanden!
Es hat wohl eine Weile gedauert, bis die ersten Christinnen und Christen begriffen, was das hieße, wenn der Engel Recht hätte. Der Welt wäre das Gewisseste genommen, was sie zu haben meint, nämlich dass das Leben auf den Tod hinausläuft. Der Tod wäre abhanden gekommen. Das würde bedeuten: Es fließen keine Tränen mehr an den Gräbern. Denn wo kein Tod mehr ist, da würde auch niemand mehr trauern müssen. Ja mehr noch, wenn der Tod aufhörte zu existieren, könnte niemand mehr mit dem Tod drohen. Waffen würden nutzlos. Die Welt hörte auf, voller Gewalt zu sein und in Angst zu leben. Keine Kriege mehr! Keine Flüchtlingsströme! Eine neue Welt entstünde, vielleicht ähnlich jener paradiesischen Welt, die Gott ganz am Anfang schuf.
Die österliche Hoffnung sagt, dass Gott dem Leben zum Sieg verhilft über den Tod. Schwer ist nur, gegen den Augenschein daran zu glauben. Sagt denn der Augenschein nicht: Was tot ist, bleibt tot und wird nicht mehr lebendig? Andererseits: Anfangs bestand der Kosmos ja aus ungeordneter Materie, dann aus toten Gestirnen, bis schließlich, mindestens auf einem von ihnen, Leben wuchs. Können also doch tote Steine Leben gebären?
Es steckt ein Wunder darin, dass sie es offenbar konnten. Dieses Wunder sagt: Das Leben ist kein bloßer Zufall. Es entspringt dem schöpferischen Willen Gottes. Ich finde diesen Gedanken ganz und gar nicht unvernünftig. Und er zieht einen anderen Gedanken nach sich: Nämlich dass Gott sich konsequent auf die Seite des Lebens stellt – gegen den Tod. Davon erzählt Ostern. Gott knüpft an das an, was er schon immer wollte: Leben, keinen Tod. Freude, keine Tränen. Liebe, nicht Hass, Gewalt und Krieg. So sei es. Frohe Ostern!
Thomas Gunkel
Sommerandachten
Die Seligpreisungen
Albino Luciani - so lautet der bürgerliche Name von Papst Johannes Paul I. Das ist der Papst, der nur 33 Tage im Amt war und dann plötzlich verstarb, was Anlass zu wüsten Verschwörungstheorien gab. Selbst Francis Ford Copolla, der die Filmtrilogie „Der Pate“ geschaffen hat, hat diese Verschwörungstheorien verarbeitet und in einen der drei Filme, Teil 2, glaube ich, einen Mordanschlag auf den Papst integriert. Dabei hatte dieser Papst so gar nichts Mafioses - im Volksmund nannte man ihn den lächelnden Papst, weil er stets freundlich wirkte. Von ebendiesem Papst stammt der folgende Text:
„Als du damals lehrtest: Selig sind die Armen, selig sind die Verfolgten, da war ich nicht dabei. Wenn ich dabei gewesen wäre, hätte ich dir ins Ohr geflüstert: Um Himmelswillen, rede doch von etwas anderem, Herr, wenn du willst, dass dir jemand nachfolgt. Siehst du denn nicht, wie alle nach Reichtum und Bequemlichkeit streben? Cato hat seinen Soldaten Feigen aus Afrika versprochen, Caesar die Reichtümer Galliens – und gut oder schlecht – sie hatten Erfolg damit. Nun kommst du und versprichst Armut, Verfolgungen. Was meinst du, wer dir folgen wird?“
Der, den er da anredet, ist natürlich Jesus Christus. Denn von dem stammen die sogenannten Seligpreisungen. Sonderbar paradoxe Sätze sind das, weil hier Menschen selig genannt werden – glücklich würden wir in unserer Alltagssprache sagen –, die nach den üblichen Maßstäben eher unglücklich sein müssten: Menschen, die Leid tragen, Leute, die hungert und dürstet nach Gerechtigkeit, die um einer gerechten Sache willen verfolgt werden oder arm sind. Daneben gibt es aber auch eine andere Personengruppe, die Jesus selig nennt: die sich bemühen, Frieden zu stiften, die barmherzig sind, die ein reines Herz haben, die sanftmütig sind.
Johannes Paul I. meldet Zweifel an. Wer soll das denn glauben, dass Menschen es je gut haben werden, dass sie glücklich sein werden, solange sie zu den Armen, den Verfolgten, den Unterdrückten zählen? Und wer soll das glauben, dass die ein glückliches Leben leben können, die so tun, als funktioniere die Welt nicht, so wie sie funktioniert: „Selig sind die Sanftmütigen; denn sie werden das Erdreich besitzen“ (?) Nein, sondern die, die die Ellenbogen ausfahren, die Rücksichtslosen, besitzen, was die anderen gern hätten. So ist es doch! Barmherzig sein, ein reines Herz haben: Das mögen tugendhafte Eigenschaften sein. Aber dass die allzu Tugendhaften schnell unter die Räder kommen – wer wüsste das nicht!
Ja, so ist diese Welt. Aber Jesus redet von einer anderen. Es ist kein Zufall, dass die erste und die letzte von den 8 Seligpreisungen, die Verheißung des Himmelreiches beinhalten. „Selig sind, die da geistlich arm sind, Arme im Geist sind, denn ihrer ist das Himmelreich.“ Und zum Schluss heißt es: „Selig sind, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden; denn ihrer ist das Himmelreich.“ Wenn Jesus vom Himmelreich redet, dann meint er kein Wolkenkuckucksheim. Es ist nicht oder zumindest nicht allein jene Welt gemeint, in die wir einst kommen, wenn wir alle tot sind. Gemeint ist schlicht die Welt, die Gott ursprünglich im Sinn hatte. Eine Welt, in der man glücklich sein kann, genauer: in der alle glücklich sein können. Solange es aber Menschen gibt, die verfolgt werden, die ungerecht behandelt werden oder sonst irgendwie Leid tragen, handelt es sich nicht um die Welt, die Gott gemeint hat. Solange Sanftmut nur dem Recht des Stärkeren dient und ein reines Herz als verzichtbar gilt, handelt es sich ebenso wenig um die Welt, die Gott gemeint hat. Der Trick – wenn ich das mal so nennen darf – , den Jesus meint, der ist eigentlich ganz einfach: Stellt euch vor, wir hätten diese Welt. Stellt euch vor, die Barmherzigen würden nicht ausgenutzt. Stellt euch vor, man würde auf die Friedensstifter hören. Stellt euch vor, mit Sanftmut ließe sich mehr erreichen als mit Rücksichtslosigkeit. Stellt euch das vor – und lebt danach. Dann wäre die Welt von einem Tag auf den anderen ein glücklicher Ort!
Johannes Paul I. wusste das natürlich. Und natürlich wollte er Jesus nicht empfehlen, Menschen auf seine Wege zu locken, indem er ihnen Reichtum und Bequemlichkeit verspricht. Das tun schon genug andere. Aber dass man schon ein bisschen verrückt sein muss, um sich auf diese genial einfache Idee Jesu einzulassen – das wusste er schon. Stell dir vor, wie die Welt sein könnte und lebe danach. Und schon ist sie verwandelt. Verrückt ist das – und zwar im besten Sinne des Wortes. Man muss die Logik der Welt, wie wir sie kennen, ein wenig verrücken, beiseite rücken. Damit die andere Logik Jesu Wirklichkeit werden kann.
Thomas Gunkel
Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit - zum französischen Nationalfeiertag
Wären wir nicht in Deutschland, sondern in Frankreich, hätten wir gestern einen Nationalfeiertag begangen. Denn am 14. Juli des Jahres 1789, gestern vor 235 Jahren, ereignete sich die Erstürmung der Bastille in Paris, die als Beginn der französischen Revolution gilt. Die drei zentralen Begriffe der französischen Revolution entstammten der geistigen Bewegung der Aufklärung: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit – Liberté, Egalité, Fraternité. Bis heute gelten diese Begriffe als Leitmotive des französischen Staates. Alle bisherigen französischen Präsidenten der Nachkriegsära haben sich stets dazu bekannt. Ob das in Frankreich so bleibt bei den sich ändernden Mehrheitsverhältnissen, ist gegenwärtig eher unklar.
Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit – was passiert eigentlich, wenn wir diese Begriffe mit dem biblischen Befund vergleichen? Wie steht die Bibel zu diesen Begriffen?
Beginnen wir doch mal hinten, bei dem letzten Begriff: Brüderlichkeit. Nun, da gibt es ab und zu Stimmen, die fragen: „Warum heißt das denn Brüderlichkeit? Was ist denn mit den Schwestern? Warum sind die in den biblischen Texten meist nur irgendwie mitgemeint.“ Nun, das liegt wohl daran, dass die biblischen Texte von Menschen aufgeschrieben wurden, die Kinder ihrer Zeit waren; und die Zeiten waren männlich dominiert. Wer aber beherzt für Brüderlichkeit Geschwisterlichkeit einsetzt, macht nichts falsch. Denn inhaltlich geht es den biblischen Autoren genau darum: „Was du einem der geringsten meiner Geschwister (Brüder) getan hast, das hast du mir getan“, sagt Jesus. Und er fordert Nächstenliebe, auch gegenüber dem fernen Nächsten, dem, der mir zum Nächsten werden kann. Die Geschichte vom barmherzigen Samariter, die Jesus erzählt, in der es um die Hilfe für einen unter die Räuber gefallenen Menschen geht, dem ausgerechnet ein Fremder, eben ein Samariter, ein Samaritaner hilft, erläutert die Frage nach dem höchsten Gebot. Das ist: „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst.“ Und genau das: sich selber im Anderen wiedererkennen, sich selbst nicht für wichtiger halten als alle anderen, sondern sich und alle anderen achten – genau das ist Brüderlichkeit oder Geschwisterlichkeit.
Und Gleichheit? Ist der Bibel Gleichheit der Menschen wichtig? Oh ja. Vielleicht ist Ihnen der Wortlaut aus dem 23. Psalm vertraut: „Du salbest mein Haupt mit Öl und schenkest mir voll ein.“ Was dieser Satz beschreibt, war ursprünglich das Inthronisationsritual für Könige. Der Prophet Samuel salbt auf diese Weise König David. Schon in alttestamentlicher Zeit bringt ein Psalmdichter zum Ausdruck, dass in den Augen Gottes das, was sonst nur Königen gebührt, allen Menschen gebührt.
Die biblischen Geschichten eignen sich in einer Zeit, in der die Gesellschaften in hohem Maße gestuft waren. Die römische Herrschaft, unter der auch Jesus von Nazareth lebte, gründete sich auf Sklavenhaltung. Und in einen solchen gesellschaftlichen Kontext hinein sagen die biblischen Texte: Aber in den Augen Gottes sind alle Menschen gleich, ja sogar Ebenbilder Gottes, also dazu bestimmt, Gott selbst in dieser Welt zu repräsentieren.
Und Freiheit? Die grundlegende Erzählung des Alten Testaments ist die Geschichte vom Auszug der Israeliten aus der Knechtschaft in Ägypten. Diese Geschichte sagt: Gott will nicht, dass ihr von anderen Menschen abhängig seid, ihnen untertan sein müsst. Gott will, dass ihr frei seid, frei, Ja und Nein zu sagen, aber dann natürlich auch für euer Ja und Nein die Verantwortung zu tragen.
Wir könnten ihn also mitfeiern, den französischen Nationalfeiertag. In Anbetracht dessen, dass sich in Europa erschreckend viele Menschen inzwischen von diesen Werten abkehren und lieber autoritäre Verhältnisse hätten, wäre das nicht die schlechteste Idee.
Thomas Gunkel